Portraits von Paten – Vom Kailash nach Rothenburg ob der Tauber

Ngawang Gyaltsen und Gerd Raisch 1993

Viele unserer Patenschaften dauern über Jahrzehnte an und werden intensiv gepflegt. Was vielleicht einst aus einer spontanen Geste der Hilfsbereitschaft begann, wird im Laufe der Jahre häufig zu einer intensiven Beziehung und einer Freundschaft durch Raum und Zeit.

So war es auch bei Gerd Raisch und „seinem“ Patenmönch Ngawang Gyaltsen, die sich 2022 nach vielen Jahren erstmals wieder persönlich begegneten. Aus dem einstigen Träger, der Herrn Raisch bei dessen Kailash-Umrundung 1993 in Tibet so hilfreich zur Seite stand, war inzwischen ein buddhistischer Mönch und Gelehrter geworden, der nach jahrzehntelangem Studium den Titel Lharampa Geshe, den Doktor der buddhistischen Philosophie trägt. Anlässlich der IATS 2022 (International Association Tibetan Studies) Konferenz reiste Lharampa Geshe Ngawang Gyaltsen nach Prag, stellte dort u.a. sein Buch vor und traf im Anschluss seinen alten Freund und Paten Gerd Raisch. Per Zufall erfuhren wir von der Begegnung und wollten mehr über diese Freundschaft erfahren. Neugierig fragten wir nach, wie alles begonnen hatte:

Wie haben Sie sich kennengelernt?

Es war kurz vor dem Abmarsch in Darchen (Kailash) als wir unsere Träger kennenlernten. Einer von ihnen war Ngawang, ein junger Mann mit einem herzlichen Lächeln. Wir wanderten den ganzen Tag. Als wir unsere Zelte für die erste Übernachtung aufschlugen, fiel mir auf, dass mein Träger nur einen lumpigen Schlafsack mittrug, in welchem er wohl im Freien nächtigen wollte. Da ich als Einzelperson ein Doppelzelt zur Verfügung hatte, bot ich ihm im Zelt einen Schlafplatz an, was er dankbar annahm und mich sogleich fragte, ob sein Freund ebenfalls im Zelt Platznehmen dürfe, sie würden sich auch ganz klein machen. Selbstverständlich stimmte ich zu. Im Laufe der kommenden drei Tage freundeten wir uns näher an und ich erfuhr, dass Ngawang schon mehrere Versuche unternommen hätte, um aus Tibet zu flüchten. Bisher war er immer von chinesischen Grenzschützern geschnappt worden, doch er würde nicht aufgeben, bis seine Flucht nach Indien erfolgreich wäre. Ich gab ihm meine Heimatadresse und die eines Klosters (Tse Chok Ling) in Dharamsala, wo ich persönlich bekannt bin. Danach hörte ich lange Zeit nichts mehr.

Eineinhalb Jahre später erhielt Gerd Raisch dann plötzlich Post aus Indien ‑ ein Brief mit einem Foto eines jungen Mönches. Ngawang Gyaltsen hatte es geschafft, Tibet zu verlassen und nach Indien zu gelangen. Gerne wollte Herr Raisch dem jungen Mann, der sich 1993 so rührend um „den fremden nach Luft ringenden Pilger“ gekümmert hatte, im Rahmen seiner Möglichkeiten unter die Arme greifen. Er wandte sich an das tibetische Zentrum, um nach der Möglichkeit einer Unterstützung durch eine Patenschaft zu fragen. Dies war möglich, da er als Mönch im Sera Jhe lebte. Eine lange Zeit des Studiums, der regelmäßigen Korrespondenz und gelegentlichen Besuchen in Indien begann.

1996/97 trafen sich die beiden Freunde bei der Kalacaka-Veranstaltung in Siliguri, 1997/98 in Sera-Je (Süd-Indien) und 2022 dann die Begegnung in Europa!

Ngawang Gyaltsen und Gerd Raisch 2022

Letztes Jahr (2022) fand in Prag ein Symposium tibetischsprachiger Teilnehmer statt, dort wurde „Ngawang Gyaltsen“ als nunmehr „Geshe Lharampa“ eingeladen und nahm die Nähe zur Schweiz (zu Verwandtenbesuch) und Deutschland wahr, um auch mich zu besuchen. In diesen nur drei verbleibenden Tagen lernten wir uns neu kennen, wozu auch ein Besuch Rothenburg ob der Tauber beitrug. Sehr beeindruckt war ich über sein großes Interesse an der christlichen Kultur z. B. an den Tilman Riemenschneider Altären in unserer Gegend. Bei unseren intensiven Gesprächen wurde ersichtlich, welch enorme intellektuelle Entwicklung der einst „einfache Bursche“ gemacht hat. Es macht mich sehr froh, dass ich, durch meine Patenschaft, zu dieser Entwicklung einen Beitrag leisten durfte.

Haben Sie je darüber nachgedacht, die Patenschaft zu beenden?

Nein – nie. Ich hatte das Gefühl, diese Begegnung wurde mir durch das Schicksal zugespielt. Für diese bereichernde Erfahrung bin ich außerordentlich dankbar.

Sehr gefreut hat sich Herr Raisch ebenfalls über das signierte Buchexemplar von Geshe Lharampa Ngawang Gyaltsen, welches er gerne einer Bibliothek zukommen ließe, die sich für den Erhalt der tibetischen Kultur einsetzt. Es handelt sich um einen Gedichtband mit persönlichen Gedichten und Lobpreisungen über die Buddhas, Lehrer und Förderer, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, welches er verfasste, um seiner großen Dankbarkeit und Wertschätzung Ausdruck zu verleihen.

Für dieses schöne Werk wird übrigens ein Übersetzer gesucht! Wer mehr über den Autor und sein Leben erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, die Buchvorstellung via https://www.facebook.com/ngawang.tashi.7359/posts/3181445038783599 anzuschauen, oder Geshe Lharampa Ngawang Gyaltsen direkt unter den folgenden Angaben zu kontaktieren:

Sera Jey Monastery , Geshe Lharampa Ngawang Gyaltsen, House no 4. Lhopa

P.O. Bylakuppe 571104 , District Mysore (K.S) INDIA

ngawang21@gmail.com, Mobiltelefon-Nr. +91 99005 55315 (auch WhatsApp)

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